Ein Kampf auf Biegen und Brechen. Ein Hitchcock-Finale vom Feinsten. Und dieses Mal hatte der TV Gelnhausen das bessere Ende für sich. Die 600 Zuschauer in Rudi-Lechleidner-Halle erlebten ein Wechselbad der Gefühle an dessen Ende grenzenloser Jubel stand. Die Barbarossastädter rangen am 23. Spieltag in der 3. Handball-Liga Süd-West den Longericher SC Köln nieder und gewannen 30:29 (13:14). Eine Parade von Torwart Julian Lahme in der Schlusssekunde rettete den Gastgebern den Sieg.
„Das Spiel wurde von beiden Teams von Beginn an intensiv geführt. Longerich hat enorme Qualität und ist nicht umsonst auf dem sechsten Tabellenplatz. Wir freuen uns sehr, gegen diesen starken Gegner in einem emotionalen und sehr kämpferischen Spiel gewonnen zu haben. Ein riesen Kompliment an die Mannschaft“, freute sich Cheftrainer Matthias Geiger nach dem Spiel über den Erfolg.
Dabei standen die Vorzeichen alles andere als gut. Vor dem Spiel musste der endlich wieder von Rückenproblemen weitestgehend befreite Jonathan Malolepszy passen. Eine Grippe legte den Kapitän flach, der auch gar nicht in der Halle war. „Mit Jonathan hätten wir heute sicher noch ein paar Möglichkeiten mehr gehabt“ haderte Geiger mit dem Verletzungspech. Weiterhin fehlten auch Jannik Geisler und Leon David.
Doch auch ohne das Trio kam der TVG gut ins Spiel. Henrik Müller sorgte für das erste Tor des Abends. Und mit seinem zweiten Treffer brachte er seine Mannschaft nach 13 Minuten mit 6:4 in Führung. Bereits wenige Minuten zuvor sah Gästespieler Nico Pyszora nach einem Foul an Yannik Mocken die Rote Karte. Es war der Auftakt einer kampfbetonten Partie, in der sich beide Mannschaften nichts schenkten und um jeden Millimeter fighteten.
Dabei sah es zwischenzeitlich so aus, als ob die Gäste frühzeitig auf die Siegesstraße einbiegen könnten. Mit einem 6:1-Lauf zwischen der 18. und 25. Minute drehten die Kölner das Spiel zu ihren Gunsten und führten durch einen Treffer von Max Zimmermann kurz vor der Pause mit 13:9. Mit zu vielen technischen Fehlern und einfachen Ballverlusten machten sich die Rotweißen das Leben schwer. Doch der TVG steckte zu keiner Sekunde auf und konterte mit einem 4:1-Lauf. Mocken erzielte mit dem Pausenpfiff per Siebenmeter den 13:14-Anschlusstreffer.
Im zweiten Durchgang erwischte der TV Gelnhausen einen Start nach Maß und ging durch einen Treffer von Simon Belter in der 34. Minute mit 16:15 in Führung. Bis zum Ende sollte die Führung nicht mehr wechseln. Doch bis zum glücklichen Schlussakkord musste der TVG noch viel Schweiß vergießen. Insgesamt zehn Zweiminutenstrafen, fünf für jedes Team, zeugten davon, wie hart es zur Sache ging.
In der 47. Minute gelang es Mocken, der Malolepszy hervorragend an der Siebenmeterlinie vertrat, erstmals einen Drei-Tore-Vorsprung herauszuschießen (24:21). Doch nur vier Zeigerumdrehungen später sorgte Benjamin Richter für den 24:24-Ausgleich. Das Spiel bog nun in die Crunchtime ein. Als Benjamin Wörner 98 Sekunden vor Schluss zum 30:27 traf, schien eine Vorentscheidung gefallen. Doch erneut sollten die letzten Sekunden die Zuschauer, die es zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr auf den Sitzen hielt, fast in den Wahnsinn treiben.
Acht Sekunden nach Wörners Treffer erhielt Torben Fehl eine Zwei-Minutenstrafe und der TVG musste die restliche Zeit in Unterzahl antreten. Schnell gelang den Gästen im Gegenzug ein Tor zum 28:30. Danach setzten sie alles auf eine Karte und stellten auf offene Manndeckung um. Nach einer Balleroberung erzielte Joscha Rinke 39 Sekunden vor Schluss den 29:30 Anschlusstreffer und das große Zittern begann. Erinnerungen an das Spiel gegen den TV Aldekerk wurden wach, als man eine Führung in den letzten Sekunden noch hergab und mit einem Tor verlor.
Und erneut konnte der TVG einen Angriff nicht verwerten, so dass die Gäste noch einmal in Ballbesitz und sogar zum Torabschluss kamen, doch Lahme war auf dem Posten, parierte den Ball und hielt den Sieg fest. Es folgte grenzenloser Jubel und das Hallendach der altehrwürdigen Rudi-Lechleidner-Halle drohte wegzufliegen.
Überhaupt hatte Lahme einen großen Anteil am Erfolg. Er ersetzte frühzeitig in der Partie Alex Bechert zwischen den Pfosten und gab mit zahlreichen Glanzparaden in seinem viertletzten Heimspiel seinen Vorderleuten mächtig Rückendeckung. Diese dankten es ihm und rackerten in der Abwehr bis zur totalen Erschöpfung. Neben Lahme stach in diesem überragenden Kollektiv auch Mocken hervor, der mit zehn Treffern der erfolgreichste Schütze der Gastgeber war. Silas Altwein (5) und Müller (4) zeigten sich ebenfalls treffsicher. Bei den Gästen war Lukas Martin Schulz mit elf Treffern am erfolgreichsten.
„Wir haben uns vorgenommen in der zweiten Hälfte aggressiver in der Abwehr zu sein und den Gegner unter Druck zu setzen. Das ist uns zunächst sehr gut gelungen. Aber Longerich ist immer drangeblieben. So war es dann auch in der hektischen Schlussphase, in der wir die Führung dann noch gerade so über die Runden gebracht haben. Das werden wir noch einmal aufarbeiten, aber dennoch freuen wir uns natürlich wahnsinnig über diesen Sieg“, sagte Geiger.
„Glückwunsch an den TVG für den Heimsieg. Das Spiel war sehr eng. Wir hatten die Chance auf ein Unentschieden heranzukommen. Ein Remis wäre vielleicht das gerechte Ergebnis gewesen. Aber so ist der Handballsport, da entscheiden Kleinigkeiten. Und diese haben für den TV Gelnhausen gesprochen mit der ein oder anderen Parade mehr. Ich muss meiner Mannschaft dennoch ein Kompliment machen. Wir haben kämpferisch voll dagegengehalten. Wir fahren enttäuscht, aber erhobenen Hauptes nach Hause“, sagte Gäste-Trainer Christian Stark.
Den Erfolg feierte das TVG-Team gemeinsam mit den Fans und einer Humba in Gedenken an den vor wenigen Wochen verstorbenen Teamkameraden Tim Altscher, dessen Trikot wieder über der Spielbank hing. Es ist schon mehr als bemerkenswert, wie diese junge Mannschaft den Verlust ihres Freundes und Mitspielers Schritt für Schritt verarbeitet und die schwärzeste Stunde in der Vereinsgeschichte in einer einzigartigen Symbiose mit den Fans in Energie verwandelt. An diesem Abend war es greifbar, das hier gerade etwas Außergewöhnliches passiert.
Mit nunmehr 22:22 Punkten dürfte sich der TV Gelnhausen den Abstiegssorgen weitestgehend entledigt haben und rangiert auf einem guten siebten Tabellenplatz. Lange freuen können sich Max Bechert und Co. allerdings nicht über diesen Erfolg. Bereits am Donnerstag steht das Nachholspiel bei der HSG Hanau auf dem Programm. Anpfiff in der Main-Kinzig-Halle ist um 20.15 Uhr.
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