„Am Tag nach der Fixierung des Aufstiegs hatte die halbe Mannschaft Deutsch-Matura.“ Roland Marouschek, Handball-Institution in Österreich und Trainer des frischgebackenen Zweitliga-Meisters West Wien Handball, unterstreicht damit, wie jung ein großer Teil der Spieler ist, die mit einem Heimsieg gegen HB Tirol den Meistertitel in der HLA-CHALLENGE geholt hat. Drei Tage später wurde mit einem souveränen 38:23-Heimsieg gegen HcB Lauterach aus Vorarlberg der letzte Akt im Zweit-Liga-Kapitel geschrieben. Denn dieser Titelgewinn ist der vorläufige Schlusspunkt nach einer atemberaubenden Tal- und Bergfahrt für den Traditionsverein aus dem Westen Wiens.
Erst vor einem Jahr musste West Wien als Erstliga-Meister in der österreichischen HLA aus wirtschaftlichen Gründen zwangsweise den Weg in die zweite Liga antreten. Trotz zahlreicher Abgänge von Topspielern gelang dann ein bisher einzigartiger Coup: West Wien holte als erste Zweitligamannschaft überhaupt den Cupsieg in Österreich.
Die Rückkehr in Österreichs erste Liga in der kommenden Meisterschaftssaison 2024/24 wird West Wien mit Marouschek als Trainer nun jedenfalls in Angriff nehmen, „Ja, es ist nach wie vor ein brutaler Kampf, das wirtschaftlich möglich zu machen“, sagt der West Wien-Coach, „wir werden alles zusammenkratzen.“ Von Anhängern und Finanziers des Handballvereins gibt es finanzielle Zusagen. Gut 22.000 Euro hat bisher außerdem eine Crowd-Funding-Aktion für die Rückkehr in die oberste Liga erbracht. Der 61jährige Coach hat den Jungs versprochen, zumindest eine Saison in der ersten Liga weiterzumachen: „Die Buam sind unfassbar, was die zusammen liefern.“
Viele Abgänge von Leistungsträgern wie dem Teamtormann
Österreichs Männer-Nationalteam hat heuer im Jänner bei der EM in Deutschland international für Furore gesorgt, bei der in Köln unter anderem ein 22:22 gegen Gastgeber Deutschland sowie Unentschieden gegen die Handball-Großmächte Kroatien und Spanien geholt wurden. Für Aufsehen hat dort nicht zuletzt Tormann Constantin Möstl gesorgt, der noch im Vorjahr mit West Wien den Erstliga-Meistertitel gefeiert hat und über Hard in Vorarlberg nun in der kommenden Saison zum deutschen Handballbundesligisten TBV Lemgo wechseln wird, Eine Reihe weiterer Stützen des vorjährigen Meisterteams von West Wien wie Rückraumspieler Elias Kofler beim 1. Vfl Potsdam und Flügelspieler Franko Lastro bei Frisch Auf Göppingen, die beide beim Wiener Zweitliga-Konkurrenten WAT Fünfhaus handballerisch groß geworden sind, hat im vergangenen Sommer West Wien verlassen.
Trainer Marouschek hat aber in der heurigen Zweitliga-Saison schon auf die nächste Generation hoffnungsvoller heimische Junghandballer gesetzt. Sechs von ihnen würden heuer im Sommer bei der U18-Europameisterschaft spielen, betont er stolz. Mit Andreas Dräger und Gabriel Kofler sind unter anderen zwei der Jungen aus der vorjährigen Meistermannschaft von West Wien geblieben und waren Stützen beim Wiederaufstieg. Dräger war es auch, der beim erstmaligen Cup-Sieg von West Wien in Schwaz in Tirol ausgerechnet gegen das Gastgeberteam beim Stand von 28:28 in den allerletzten Spielsekunden mit einem „Flieger“-Tor den historischen Cup-Erfolg fixierte. Dabei war vor dem Cup-Final-Four in Schwaz sogar überlegt worden, ob man überhaupt teilnehmen soll, um die Kräfte für den Zweitligatitel und den Wiederaufstieg zu schonen.
Der erfahrene Betreuer Marouschek gibt sich für die Rückkehr in Österreichs erste Handballliga auch keinen Illusionen hin: „Wir werden im ersten Jahr Lehrgeld zahlen, aber das zahlen wir gern.“ Dennoch ist er überzeugt, dass sein junges Team auch nach dem Aufstieg bestehen kann. Gespielt wird in der Wiener Stadthalle B. Die fehlende Heimhalle war im Vorjahr einer der Gründe gewesen, warum West Wien trotz des ersten Erstliga-Meistertitels seit 30 Jahren den Rückzug in die zweite Liga angetreten hat. Bis dahin fungierte nämlich die Halle im niederösterreichischen Maria Enzersdorf knapp südlich von Wien als Heimhalle, womit der Verein nicht wirklich glücklich war. Nun hofft West Wien darauf, dass ab 2026 tatsächlich die von der Stadt Wien in Aussicht gestellte neue Ballsporthalle fertig wird.
Karl Ettinger